diarrhetics
2008-03-07 17:57:31 UTC
Von Hugo Stamm
Sind Gläubige die fantasievolleren Menschen? Oder neigen sie eher zum
Wahnsinn als Skeptiker?
Spannende Erkenntnisse dazu hat der Neurowissenschaftler Peter Brugger
gemacht, der den Glauben an das Übersinnliche erforscht. Die Quintessenz:
Gläubige und Esoteriker ticken tatsächlich anders als nüchtern
empfindende Menschen. So jedenfalls erklärte es Brugger meiner Kollegin
Monica Müller in einem Interview. Hier Ausschnitte davon:
Herr Brugger, ich habe kürzlich von einer Schulkollegin geträumt, die
ich 25 Jahre nicht gesehen habe. Am folgenden Tag bin ich ihr begegnet.
Wie beurteilen Sie das?
Man könnte das nüchtern hochrechnen. Wie oft erleben Sie das? Und wie
oft träumen Sie von Menschen und dann passiert nichts? Rechnen Sie das
aus und vergleichen Sie es mit den Erfahrungen anderer. Das Ergebnis
würde zeigen, dass ihr Erlebnis so normal ist, wie wenn Sie im Lotto
gewinnen würden. Es gewinnt immer einer. Für den Glücklichen ist das
natürlich einmalig, unglaublich. Aber statistisch gesehen, muss es
passieren.
Beim Lotto spricht man von Glück, nicht von Vorahnung oder Telepathie.
Warum?
Das Lottospiel haben wir unter Kontrolle, wir mischen die Bälle. Aber was
im Leben passiert, das haben wir nicht im Griff. Es gibt Leute, die
stellen zwischen banalen Zufällen des Alltags bedeutungsvolle Bezüge her
- im Fachjargon « Schafe » - und andere, die tun das nicht - das sind
«Ziegen».
Sie erforschen die Glaubens- und Denkmuster von «Schafen» und
«Ziegen». Worin unterscheiden die sich?
«Schafe» assoziieren weiter, denken ungebremster. Wer mehr um die Ecke
denkt, erlebt auch mehr bedeutungsvolle Zufälle, weil diese ihm oder ihr
auffallen. Wer so veranlagt ist, hat dann auch eher das Bedürfnis, den
Bezügen, die ihm auffallen, eine Bedeutung zu verleihen und sie nicht als
reinen Zufall abzutun.
Warum haben viele Mühe mit dem Zufall?
Weil unser Wahrnehmungssystem darauf getrimmt ist, Regelmässigkeiten zu
entdecken.
Haben Menschen, die schneller ein Muster entdecken, auch ausserhalb der
Savanne einen Vorteil?
Sie haben die Veranlagung, kreativer zu sein. Wer kreativ denkt, sieht
Zusammenhänge zwischen Dingen, die offensichtlich nicht verwandt sind.
Nur wer alte Muster durchbrechen kann, kann auch Neues schaffen. Diese
Veranlagung bringt «Schafe» aber nicht bloss in die Nähe der
Kreativität, sondern auch des Wahns. Es ist eine alte Einsicht, dass
Genie und Wahnsinn nahe beieinander sind. Mit unserer Forschung können
wir aufzeigen, dass der Ähnlichkeit von Genie und Wahnsinn nüchterne
Verarbeitungsschritte im Hirn zu Grunde liegen. Ich wehre mich aber
genauso dagegen, das übersinnliche Denken als krankhaft einzuschätzen,
als es für ausschliesslich kreativ zu halten.
Wo verläuft die Grenze zwischen kreativen Gedankenketten und krankhaften
Vorstellungen?
Ein schizophrener Patient kann schon beim Lesen des Menüs im Restaurant
in Panik ausbrechen. Seine Gedankenkette beim Wort «Spaghetti» bricht
nicht bei Italien ab, sondern er denkt weiter an «Mafia» und verlässt
das Restaurant in Panik. Ein Schizophrener zieht Schlüsse, die für
Gesunde nicht nachvollziehbar sind.
Warum werden Menschen, die von Telepathie, Hellsehen oder Vorahnungen
berichten, oft belächelt? Kreativität ist doch gefragt.
Wir machen uns über die Ausgeburten lustig, mit denen oft einfach viel
Geld gemacht wird. Man darf Esoterikern nicht unterstellen, dass sie alles
glauben, was sie verkünden. Der Hellseher und Zukunftsberater Mike Shiva
beispielsweise ist ein hoch assoziativer, cleverer Typ. Ich glaube nicht,
dass er alles glaubt, was er sagt. Wenn er anderen damit aber wirklich
helfen kann, warum nicht? Für ihn ist seine Beratung ein florierendes
Geschäft, für die Klienten wirkt das wie Placebo. Mich interessiert, wie
ein Placebo wirkt oder wie esoterisches Denken zu Stande kommt. Ich will
nicht darüber streiten, ob es diese Dinge wirklich gibt.
Glauben Sie an den Zufall?
Der Zufall ist keine aktive Kraft, sondern eine abstrakte statistische
Grösse. Auch ich glaube also an den Zufall, aber eher im Sinne eines
Begriffes, der die Abwesenheit von lenkenden Kräften meint. Der
Esoteriker glaubt zwar auch an den Zufall, misst ihm aber übersinnliche
Kraft bei. Für Kreationisten und religiöse Fanatiker wiederum bedeutet
das Wort «Zufall» nichts anderes als Gotteslästerung - das hatte schon
Lessing erkannt.
Wie kamen Sie zu Ihrem Gebiet?
Als Jugendlicher glaubte ich an Telepathie und wollte wissen, wie diese
funktioniert. Ich fand in meinen Tests nichts, das darauf hindeutet, dass
jemand besser abschnitt als der Zufall, und sah ein, dass es nicht einfach
ist, übersinnliche Phänomene wissenschaftlich zu erfassen. Die
Verbindung zwischen Gläubigkeit und Hirntätigkeit eröffnet neue Welten.
Dann waren Sie einmal ein «Schaf».
Ich bin ein konvertiertes «Schaf».
Waren Sie als «Schaf» glücklicher?
Ich müsste, denn ich vertrete ja die Theorie, dass Gläubige die
genussfähigeren Menschen sind. Persönlich verstehe ich mich blendend mit
moderaten Esoterikern, sie sind viel aufgestellter als die ewig
nörgelnden Skeptiker, die sich meist nicht einmal die Mühe machen, etwas
überhaupt zu hinterfragen. Aber intellektuell zähle ich mich schon zu
den Skeptikern. Vielleicht gehöre ich irgendwie auch beiden Welten an.
Sagen wir es so: Ich bin eine glückliche «Ziege».
(Peter Brugger leitet die Abteilung Neuropsychologie an der Neurologischen
Klinik des Universitätsspitals Zürich. Er erforscht seit 20 Jahren
magisches Denken.)
Sind Gläubige die fantasievolleren Menschen? Oder neigen sie eher zum
Wahnsinn als Skeptiker?
Spannende Erkenntnisse dazu hat der Neurowissenschaftler Peter Brugger
gemacht, der den Glauben an das Übersinnliche erforscht. Die Quintessenz:
Gläubige und Esoteriker ticken tatsächlich anders als nüchtern
empfindende Menschen. So jedenfalls erklärte es Brugger meiner Kollegin
Monica Müller in einem Interview. Hier Ausschnitte davon:
Herr Brugger, ich habe kürzlich von einer Schulkollegin geträumt, die
ich 25 Jahre nicht gesehen habe. Am folgenden Tag bin ich ihr begegnet.
Wie beurteilen Sie das?
Man könnte das nüchtern hochrechnen. Wie oft erleben Sie das? Und wie
oft träumen Sie von Menschen und dann passiert nichts? Rechnen Sie das
aus und vergleichen Sie es mit den Erfahrungen anderer. Das Ergebnis
würde zeigen, dass ihr Erlebnis so normal ist, wie wenn Sie im Lotto
gewinnen würden. Es gewinnt immer einer. Für den Glücklichen ist das
natürlich einmalig, unglaublich. Aber statistisch gesehen, muss es
passieren.
Beim Lotto spricht man von Glück, nicht von Vorahnung oder Telepathie.
Warum?
Das Lottospiel haben wir unter Kontrolle, wir mischen die Bälle. Aber was
im Leben passiert, das haben wir nicht im Griff. Es gibt Leute, die
stellen zwischen banalen Zufällen des Alltags bedeutungsvolle Bezüge her
- im Fachjargon « Schafe » - und andere, die tun das nicht - das sind
«Ziegen».
Sie erforschen die Glaubens- und Denkmuster von «Schafen» und
«Ziegen». Worin unterscheiden die sich?
«Schafe» assoziieren weiter, denken ungebremster. Wer mehr um die Ecke
denkt, erlebt auch mehr bedeutungsvolle Zufälle, weil diese ihm oder ihr
auffallen. Wer so veranlagt ist, hat dann auch eher das Bedürfnis, den
Bezügen, die ihm auffallen, eine Bedeutung zu verleihen und sie nicht als
reinen Zufall abzutun.
Warum haben viele Mühe mit dem Zufall?
Weil unser Wahrnehmungssystem darauf getrimmt ist, Regelmässigkeiten zu
entdecken.
Haben Menschen, die schneller ein Muster entdecken, auch ausserhalb der
Savanne einen Vorteil?
Sie haben die Veranlagung, kreativer zu sein. Wer kreativ denkt, sieht
Zusammenhänge zwischen Dingen, die offensichtlich nicht verwandt sind.
Nur wer alte Muster durchbrechen kann, kann auch Neues schaffen. Diese
Veranlagung bringt «Schafe» aber nicht bloss in die Nähe der
Kreativität, sondern auch des Wahns. Es ist eine alte Einsicht, dass
Genie und Wahnsinn nahe beieinander sind. Mit unserer Forschung können
wir aufzeigen, dass der Ähnlichkeit von Genie und Wahnsinn nüchterne
Verarbeitungsschritte im Hirn zu Grunde liegen. Ich wehre mich aber
genauso dagegen, das übersinnliche Denken als krankhaft einzuschätzen,
als es für ausschliesslich kreativ zu halten.
Wo verläuft die Grenze zwischen kreativen Gedankenketten und krankhaften
Vorstellungen?
Ein schizophrener Patient kann schon beim Lesen des Menüs im Restaurant
in Panik ausbrechen. Seine Gedankenkette beim Wort «Spaghetti» bricht
nicht bei Italien ab, sondern er denkt weiter an «Mafia» und verlässt
das Restaurant in Panik. Ein Schizophrener zieht Schlüsse, die für
Gesunde nicht nachvollziehbar sind.
Warum werden Menschen, die von Telepathie, Hellsehen oder Vorahnungen
berichten, oft belächelt? Kreativität ist doch gefragt.
Wir machen uns über die Ausgeburten lustig, mit denen oft einfach viel
Geld gemacht wird. Man darf Esoterikern nicht unterstellen, dass sie alles
glauben, was sie verkünden. Der Hellseher und Zukunftsberater Mike Shiva
beispielsweise ist ein hoch assoziativer, cleverer Typ. Ich glaube nicht,
dass er alles glaubt, was er sagt. Wenn er anderen damit aber wirklich
helfen kann, warum nicht? Für ihn ist seine Beratung ein florierendes
Geschäft, für die Klienten wirkt das wie Placebo. Mich interessiert, wie
ein Placebo wirkt oder wie esoterisches Denken zu Stande kommt. Ich will
nicht darüber streiten, ob es diese Dinge wirklich gibt.
Glauben Sie an den Zufall?
Der Zufall ist keine aktive Kraft, sondern eine abstrakte statistische
Grösse. Auch ich glaube also an den Zufall, aber eher im Sinne eines
Begriffes, der die Abwesenheit von lenkenden Kräften meint. Der
Esoteriker glaubt zwar auch an den Zufall, misst ihm aber übersinnliche
Kraft bei. Für Kreationisten und religiöse Fanatiker wiederum bedeutet
das Wort «Zufall» nichts anderes als Gotteslästerung - das hatte schon
Lessing erkannt.
Wie kamen Sie zu Ihrem Gebiet?
Als Jugendlicher glaubte ich an Telepathie und wollte wissen, wie diese
funktioniert. Ich fand in meinen Tests nichts, das darauf hindeutet, dass
jemand besser abschnitt als der Zufall, und sah ein, dass es nicht einfach
ist, übersinnliche Phänomene wissenschaftlich zu erfassen. Die
Verbindung zwischen Gläubigkeit und Hirntätigkeit eröffnet neue Welten.
Dann waren Sie einmal ein «Schaf».
Ich bin ein konvertiertes «Schaf».
Waren Sie als «Schaf» glücklicher?
Ich müsste, denn ich vertrete ja die Theorie, dass Gläubige die
genussfähigeren Menschen sind. Persönlich verstehe ich mich blendend mit
moderaten Esoterikern, sie sind viel aufgestellter als die ewig
nörgelnden Skeptiker, die sich meist nicht einmal die Mühe machen, etwas
überhaupt zu hinterfragen. Aber intellektuell zähle ich mich schon zu
den Skeptikern. Vielleicht gehöre ich irgendwie auch beiden Welten an.
Sagen wir es so: Ich bin eine glückliche «Ziege».
(Peter Brugger leitet die Abteilung Neuropsychologie an der Neurologischen
Klinik des Universitätsspitals Zürich. Er erforscht seit 20 Jahren
magisches Denken.)
--
"THE ONLY WAY YOU CAN CONTROL PEOPLE IS TO LIE TO THEM...,
because the second you start telling anybody close to the truth,
you start releasing him and he gets tougher and tougher to control."
L. Ron Hubbard
"THE ONLY WAY YOU CAN CONTROL PEOPLE IS TO LIE TO THEM...,
because the second you start telling anybody close to the truth,
you start releasing him and he gets tougher and tougher to control."
L. Ron Hubbard